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Womit habe ich das verdient?

Es war ein Trauerspiel. Immer wieder einmal gehen mein Mann und ich mit unserem Hund die Ringstraße entlang. Im letzten Jahr waren die Maisfelder vom Wasser geflutet, konnten nicht geerntet werden. Selbst die Weiden sind abgesoffen. Oft genug sind wir unterwegs nass geworden, so viel hatte es geregnet.

In diesem Jahr nun haben wir uns eher einen Sonnenbrand geholt. Aber die Maiskolben? Sie blieben klein, der Mais schien verkümmert. Der Staub wirbelte umher, alles war vertrocknet. Oftmals wurde schon früh geerntet, um wenigstens noch etwas zu haben.

 

Ich habe es von unseren Bauern gehört und auch von anderen: Ein weiteres miserables Jahr. Ernte schlecht, Futter knapp, Unterstützung beim Land wurde angefragt. Okay, die Winzer und Obstbauern hatten es in diesem Jahr besser.

Und mal ehrlich: Für den Rest von uns, die keine Bauern sind, macht es letztlich keinen großen Unterschied, ob es eine gute Ernte gab oder nicht. EDEEKA und Co halten alles bereit, was wir brauchen. Und nicht einmal die Preise lassen und wirklich spüren, dass da etwas anders geworden ist.

 

Erntedank. Ich gebe zu, dass ich mich mit diesem Fest schwer tue. 

Klar, es ist nett und schön, ein bisschen wie das Landidyll auf den Joghurtgläsern und Milchkartons.

Wir sagen ein bisschen Danke, tun betroffen, weil wir die Umwelt gegen die Wand fahren und dann geht es weiter, als wäre nichts gewesen. Ein Alibifest für das schlechte Gewissen – für uns, für die Bauern?

Erntedank und die Frage: Womit habe ich das eigentlich verdient?

 

Diese Frage „Womit habe ich das verdient?“ wird häufig gestellt.

In der Schule bekomme ich immer den Ärger des Lehrers ab, obwohl die anderen mindestens so viel Blödsinn machen.

Ich strenge mich auf der Arbeitsstelle an, aber ein Querschlag kommt nach dem nächsten.

Und im Krankenhaus sitze ich dem Arzt gegenüber und weiß nicht mehr was sagen. Krebs heißt die Diagnose. Und ich war doch immer anständig. Womit habe ich das verdient?

 

Menschen richten diese Frage an andere, an sich, und immer wieder auch an Gott. Klagend. Verzweifelt. Vorwurfsvoll. Womit habe ich das verdient?

 

Ich gebe zu, ich habe keine Antwort. Und was würde eine richtige Antwort auch am misslichen Zustand ändern? Ich für mich weiß, dass keiner ungerechte Behandlung, eine schlimme Krankheit oder Traurigkeit verdient hat. Zumindest nicht mehr oder weniger als andere.

 

Womit habe ich das verdient.

Erntedank dreht das nun auf den Kopf. 

Womit habe ich das verdient?

Morgens Brot auf dem Tisch, Müsli, Saft, Nutella. Mittags den Braten oder die Pizza im Ofen. Die Vielfalt an Eissorten und Restaurants. Womit habe ich DAS verdient?

Ich kann mich satt essen und auch über meinen Hunger. Ich kann zum Doktor gehen, wenn mir etwas weh tut. Es gibt Schulen, in denen ich mich bilden kann und die mir später einen Beruf ermöglichen. Okay, manches daran mag ätzend sein. Aber womit habe ich DAS verdient?

Ich lebe in einem Land im Frieden, wo ich sagen kann, was ich denke. Ein Land mit einem Sozialsystem und Krankenversicherungen. Die meisten werden aufgefallen, wenn mal etwas schief läuft. Womit habe ich DAS verdient?

Ich fahre in den Urlaub, suche bequem die Ziele übers Internet aus. Vielleicht liege ich auf der andere Seite der Erde einfach nur im Strand und das einzige was stört, ist der Sonnenbrand am Abend. Womit habe ich DAS verdient?

Ich muss hier keine Angst vor Bomben haben, die vom Himmel fallen. Ich kann denken, was ich will und kann gehen, wohin ich mag. Keine Naturkatastrophe sucht mich heim . Womit habe ich DAS verdient?

 

Du und ich haben das nicht verdient. Nicht mehr als andere.

Klar, jeder hier trägt durch seine Arbeit dazu bei, dass unser System läuft. In der Landwirtschaft. In der Gesellschaft und Wirtschaft. In der Kirche.

Vor 300 oder 500 Jahren haben das die Menschen nicht anders gemacht. Sie mussten körperlich viel härter arbeiten, aber so gut wie wir hatten sie es nicht. Oder die Menschen in Syrien und Afrika? Tun sie nicht auch das, was sie können. Und ernten Krieg und Vertreibung?

 

Womit haben wir das verdient? Vorsicht, jetzt wird es ungemütlich.

Verdient hätten wir manchmal anderes. Dass die Ausbeutung von Arbeitskräften in Ländern wie Bangladesh und Indien auf uns zurückfällt, wo von billigen Klamotten und Grabsteinen viel für unseren Markt produziert wird. Dass das Gift und der Staub, das das Leben dieser Menschen ruiniert, uns zum Kratzen bringt und die billigen Steine uns auf die Füße fallen.

Dass die Tiere, die misshandelt werden, dass wir immer noch mehr und billigeres Fleisch bekommen, Küken, die geschreddert werden, Hunde, die ausgesetzt werden, über unsere sauber gepflegten Vorgärten rennen, unsere Wohnzimmer heimsuchen und uns in Käfige sperren, die weder Platz noch Tageslicht kennen. Und wir am billigen mit Medikamenten vollgestopften Fleisch, an den mit Schadstoffen verseuchten Nahrungsmitteln ersticken.

Dass die Bäume des Hambacher Forstes, die gefällt wurden, die Bergwerke, die den Atommüll lagern, die Müllinseln auf den Meeren, geschuldet unserer unersättlichen Gier nach Wachstum und dem unhinterfragten in-den-Mors-Kriechen der Wirtschaft – dass die Bäume unsere Häuser fällen, die Plastikberge unsere Wohnzimmer fluten und der Atommüll die verseucht, die davon profitieren.  

Dass die Kirche, deren Personal Menschen, Erwachsene wie Kinder, missbraucht hat, diese Schande gedeckt und vertuscht hat, an ihrer Schuld erstickt und die Menschen sich von solch unguten Strukturen abwenden.

Dass die Menschen, die von unseren mit Gewinn an Unrechtsregime exportierten Waffen und Panzer vertrieben werden, unser Land heimsuchen. 

 

Hätten wir nicht DAS verdient?

Wobei, manches geschieht ja wirklich. Meint denn einer wirklich, dass Klimawandel und Flüchtlingskrise nicht auch einen Grund haben in einer verfehlten Politik der letzten Jahrzehnte, in einem Fehlverhalten unsererseits? 

Dass wir den Banken und der Wirtschaft mit ihrer steten Gier nach mehr und mehr Gewinn das Geld ungeprüft in den Mors schieben, aber Natur- und Tierschutz, Erzieher, Krankenpfleger schauen in die Röhre? Mal echt, das bleibt doch nicht ohne Folgen!

Was ihr säht, das werdet ihr ernten. Steht schon in der Bibel.

 

Womit haben wir das verdient?

Erntedank taugt nun nicht dazu, uns fertig zu machen. Und auch mir steht das nicht zu. Ich gehöre leider auch zu denen, die mitmachen. Die beim Fleisch manchmal mehr auf das Geld als auf die Herkunft schauen. Der mit Billigairlines fliegt und genau weiß, dass das Personal leidet. 

Erntedank sollte keine Folkore sein. Ein bisschen Spaß muss sein und das war es.

Erntedank ist für mich ein Augenöffner. Für Dankbarkeit und Verantwortung.

 

Ich verdanke vieles nicht mir. Nicht den Frieden und nicht meine Gesundheit. Nicht meine Nahrung und meine Versorgung. Nicht meinen Beruf und mein Glück. Und nicht einmal nur meinen Glauben.

Da gab es Menschen wie meine Großeltern, die unser Land nach dem Krieg wieder aufgebaut haben. Da gab es Politiker, die nach dem Krieg sagten: Wir brauchen ein geeintes Europa und nie wieder Krieg.

Da gab es andere Menschen, die mir ihre Liebe schenkten, Bauern, die Nahrungsmittel anbauen, andere, die schwer schuften, dass ich so bequem einkaufen kann.

Da gab es einen Pastor, dem ich meinen Glauben verdanke.

Und nicht anders bei anderen: Was wären die Bauern ohne den Boden und die Sonne? Was wären die Politiker ohne die Menschen, für die sie arbeiten? Was wären wir ohne die Bienen, die Bäume und Pflanzen bestäuben.

 

Frage doch das Vieh, das wird dich's lehren  und die Vögel unter dem Himmel, die werden dir's sagen;oder rede mit der Erde, die wird dich's lehren,  und die Fische im Meer werden dir's erzählen.Denn die ganze Schöpfung weiß es, spricht es aus: 'Dies alles hat die Hand des HERRN gemacht!'  In Gottes Hand ist die Seele von allem, was lebt, und der Atem aller Menschen kommt von ihm. (aus Hiob 12)

 

Alles ist verbunden. Das ist für mich ein Teil von Gott. Darum sage ich ihm an Erntedank DANKE. 

Danke für alles, was ich unverdient bekomme.

Danke, dass ich nicht alles bekomme, was ich verdiene.

Ich erinnere mich, um was es geht. 

Ich bin nur ein Teil des Ganzen. 

Ich habe meinen guten Beitrag zu leisten, so wie andere vor mir und andere nach mir.

Andere verdienen meinen guten Willen, meine Liebe, meinen Glauben und meinen Einsatz.

 

Ich sage Gott DANKE und lasse mich in die Pflicht nehmen. 

Es geht um Verantwortung. Dass ich das, was mich und uns trägt, nicht mit Füßen trete.

Nicht die Tiere, nicht die Menschen, nicht die Natur. Das haben die nicht verdient.

Nur zu warten, bis andere anfangen, ist zu billig.

 

Womit habe ich das verdient?

Es wird Zeit, dass Du und ich wieder dessen würdig werden, was wir verdienen.

Mit Demut. Achtsamkeit. 

Als Bauer. Als Pastor. Als Schüler. Als Senior. Als Kirche. Als Staat.

Es geht um alles.

 

Es war einmal ein reicher Mann. Zu dem sprach seine Frau an einem schönen Herbsttag: „Mann, wir haben ein gutes Jahr gehabt. Küche und Keller, Scheune und Vorratskammern sind voll. Lass uns das Erntedankfest feiern!“

„Nein“, antwortete der Mann, „für das alles habe ich hart genug arbeiten müssen. Bin ich nicht jeden Morgen früh aufgestanden? Wie soll ich für etwas danken, was doch allein mein Verdienst ist? Ich will ins Wirtshaus gehen und einen Schoppen Wein darauf trinken.“ Damit verließ er das Haus.

Als er ein Stück gegangen war, sah er am Wegrand im warmen Herbstsonnenschein einen Mann mit seiner Frau und ihren zwei Kindern sitzen. Die vier hatten nichts bei sich als ein kleines Bündel aus rot-weiß kariertem Leinen. Der Vater knüpfte es gerade auf und nahm ein kleines Brot und zwei Handvoll Trauben heraus. Der reiche Mann blieb stehen.

„Setzt Euch nur zu uns, wenn Ihr hungrig seid!“ sagte der andere Mann. „Es ist nur ein einfaches Mahl, das ich Euch anbieten kann. Aber das Brot ist frisch, und die Trauben sind süß. Ein guter Nachbar hat sie uns mit auf den Weg gegeben. Unser Haus ist vor einigen Tagen einem Feuer zum Opfer gefallen und all unser Hab und Gut mit ihm.“

„Nein, danke, ich bin nicht hungrig“, antwortete der Reiche. „Auch reichen ja Brot und Trauben kaum für Euch selbst. Mich wundert, dass Ihr da so vergnügt in der Sonne sitzt und nicht weint und klagt über das, was Euch widerfahren ist.“

„Wie sollten wir weinen und klagen?“ entgegnete der Mann. „Meine Frau, unsere Kinder und ich sind dem Feuer unbeschadet entkommen. Dafür danken wir Gott.“ Damit teilte er das Brot und die Trauben, und alle ließen es sich schmecken.

Der reiche Mann blieb noch einen Augenblick nachdenklich stehen, und Scham erfüllte sein Herz.

„Kommt mit in mein Haus!“ sprach er dann. „Ich weiß etwas Besseres, als ins Wirtshaus zu gehen.“ Die Familie nahm die Einladung an und folgte ihm.

„Komm, Frau!“ rief der reiche Mann beim Eintreten. „Wir wollen Erntedankfest feiern. Diese guten Leute haben mir gezeigt, was es heißt, dankbar zu sein und zu teilen.

Da setzten sich alle fröhlich zu Tisch. 

Amen.

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