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Ein Weinberg zum Wundern 

Das Erste: Gott ist auf Reisen

Jesus begann, Gleichnisse zu erzählen:

»Ein Mann legte einen Weinberg an.

Er baute eine Mauer darum, hob eine Grube als Kelter aus 

und errichtete einen Wachturm.

Dann verpachtete er den Weinberg und ging auf Reisen.

 

Geschichten von Gott begleiten mich seit meiner Zeit im Kindergarten.

Schwester Marianne, eine Diakonisse, war dort meine Erzieherin.

Geschichten aus der Bibel, von ihr erzählt, waren echt die besten.

Spannend, verständlich und so, dass wir als Kinder in ihnen Platz fanden.

 

Sie tat das, was Jesus auch tat.

Öffnete den Blick auf Gottes Wirklichkeit durch bildhafte Rede.

 

Nun also Gott ein Mann, der mit Geschick einen Weinberg anlegt.

 

Von Gott als jemandem zu erzählen, der etwas errichtet, klingt gut.

Da geht es ums Entstehen, ums Werden. 

Und der Raum ist bereitet, bereit.

 

Und dann, so Jesus weiter, geht der Weinbergsbesitzer auf Reisen. 

Gott auf Reisen.

 

Gelernt hatte ich es damals in der Kirchengemeinde meiner Heimat anders.

Gott ist immer und überall da. Bei Dir. Bei mir.

Sieht alles und jeden. Dich. Mich.

Und wenn Du nichts von ihm spürst, wenn Deine Gebete gefühlt an der Zimmerdecke hängen bleiben, liegt es halt an Dir. Hast Du zu wenig Glauben. Bist Du nicht innig genug.

Und später die ganzen Verrenkungen, um zu erklären, wieso Gott dies und jenes zulasse, wenn er doch immer da sei.

 

Menschen machen aus Gott gerne einen Gartenzwerg.

Reden von ihm als Mann thronend über uns und so, 

dass sie immer genau wissen, was Gott will, sagt und denkt.

Stellen ihn in die Vorgärten der Moral.

Pressen ihn in Liturgien und inflationäres Gesülze.

Benutzen ihn als Feigenblatt und Ausrede.

 

Und Jesus sagt: Gott geht auf Reisen. Außer Landes.

Ich bin dann mal weg.

 

Mir ist schon klar, dass Bildworte wie dieses hier Grenzen haben.

Und doch.

 

Es gab Zeiten, in denen es mir genau SO vorkam.

Ich saß im Schlammassel meines Lebens. 

Von wegen „von irgendwo kommt ein Lichtlein her“.

Und Gott?

In meinem gefühlten Glauben war er dann auf Kreuzfahrt auf den Meeren theologischer Richtigkeiten.

Fern meiner selbst als Pilger auf den Wegen der Anderen. 

Über den Wolken. Und sonstwo.

Aber nicht im Weinberg meines Lebens.

 

Manchmal ist das, was wir Gott nennen, einfach auf Reisen.

Unverfügbar.

Woanders.

Kein Besitz. 

Nichts, was man festhalten kann.

Oder sagen: Hier ist Gott oder da ist Gott.

 

Ich habe gelernt.

Gottferne zuzulassen. 

Sie als Schwester der Gottnähe zu achten.

Fragen und Leere nicht zuzukleistern mit schnellen Antworten.

Sondern diesen Raum auszuhalten und zu erkunden. 

Er gehört dazu.

Arbeit, die wartet.

Spuren, die erzählen.

Aufbruch in der Luft.

 

Dann verpachtete der Besitzer den Weinberg und ging auf Reisen.

​

Das Zweite: Kein Besitz  

Jesus erzählte weiter: Als es an der Zeit war, schickte der Besitzer einen Knecht zu den Pächtern.

Der sollte bei ihnen seinen Anteil vom Ertrag des Weinbergs abholen.

 

Der Weinberg bleibt nicht verlassen zurück. Der Besitzer vertraut ihn anderen an.

Sie sollen sich an seiner Stelle kümmern, die Reben pflegen, Wein herstellen.

Und ja, auch mal die Füße hochlegen und den Ausblick genießen.

Aber auch: Wenn die Zeit gekommen ist, Anteil vom Ertrag abgeben.

 

Für die biblische Vorstellungswelt ist klar: Die Erde gehört uns nicht.

Weinberge und Boden. Zeit und Liebe. Freundschaften und Glauben.

Die Kühe auf dem Feld und die Luft zum Atmen. Mein eigenes Leben.

Alles uns ans Herz gelegt, anvertraut, geliehen. 

Aber kein Besitz. 

 

Jesus spricht deshalb gerne vom Menschen als Gärtner, Verwalter, Haushalter. 

Dem etwas anvertraut ist.

Und das ist eine echte Herausforderung. Nicht besitzen zu wollen.

Gott folgen. Verantwortlich leben. Hingabe zeigen. 

 

Mir gegenüber. 

Ehrlich sein. Grenzen setzen. Gaben leuchten lassen. Schmerzen ohne Scham zeigen.

Träumen folgen. Widerspruch wagen. Lachen mit Schokoresten am Mund. 

 

Dem Mitmenschen gegenüber. 

Bedürfnisse aussprechen. Helfen. Nachfragen statt schnellem Urteil. Danken.

Teilen. Eine Chance geben. Etwas übriglassen. Sich für jemanden stark machen.

 

Gott gegenüber.

Der Liebe ein Gesicht geben. Scheinheiligkeit und Heucheln sein lassen. Beten.

Schuld bekennen und aus Fehlern lernen. Das Gegenüber als Gottes Ebenbild achten. Staunen.

 

Als es an der Zeit war 

Wir planen gerne, als hätten wir noch viel Zeit.

Später mal mache ich dies und jenes.

Klimaschutzziele, die so liegen, dass die Konsequenzen uns kaum mehr betreffen müssen.

Angehen der weltweiten Ungerechtigkeit? Sind doch erstmal die anderen dran.

Und Kirche 2030, 2060, 3023, als ob die Realität uns nicht schon längst überholt hätte.

 

Die Zeit der Verantwortlichkeit ist jetzt. Und es gibt keine Ausreden.

Morgen bei der Arbeit oder beim Einkaufen im Supermarkt.

Unterwergs auf der Straße oder auf Social Media.

Plattdeutsches Urgestein oder zugezogen.

Wenn Du merkst: So geht es nicht weiter oder: Hey, läuft!

 

Was wirst Du zu geben haben, wenn Dein Anteil gefordert ist?

 

Als es an der Zeit war, sollte der Anteil vom Ertrag des Weinbergs abgeholt werden.

​

Das Dritte: Geboten

Jesus erzählte weiter: Aber die Pächter packten den Knecht, verprügelten ihn und jagten ihn mit leeren Händen davon.

Daraufhin schickte der Besitzer noch einen Knecht.

Dem schlugen sie den Kopf blutig und beschimpften ihn.

Der Besitzer schickte noch einen weiteren Knecht. Den töteten sie sogar.

Er schickte noch viele andere. 

Die einen verprügelten sie, die anderen töteten sie.

Da blieb nur noch einer übrig: sein geliebter Sohn. 

Ihn schickte er als Letzten.

Er sagte sich: ›Vor meinem Sohn werden sie Achtung haben.‹

Aber die Pächter sagten zueinander: ›Er ist der Erbe. 

Kommt, wir töten ihn, dann gehört sein Erbe uns.‹

Sie packten ihn, töteten ihn und warfen seine Leiche hinaus vor den Weinberg.

Was wird der Weinbergbesitzer jetzt tun?

Er wird selbst kommen, die Pächter töten und den Weinberg anderen anvertrauen.

 

Die Rechnung des Weinbergsbesitzers geht nicht auf. Seinen Anteil möchte er. 

Die, die er deswegen schickt, werden misshandelt, umgebracht.

Und selbst der Sohn als Erbe kann nichts ausrichten. Auch er wird getötet.

 

Jesus spricht von sich selbst. Er kam und forderte die Liebe der Menschen heraus.

Doch in der Struktur, der Theologie, dem Schwarz-Weiß-Denken war wenig Platz für Erlösung, Hingabe und einen Glauben, der hinsieht.

Jesus wurde hingerichtet. 

So blieben Welt und Gott für die Menschen damals wie sie waren. Und alles war wieder in Ordnung.

Benutzt wurden Bibelstellen wie diese, um Jüdinnen und Juden zu verfolgen. 

Sie seien doch diejenigen, die die Propheten Gottes immer wieder missachtet und umgebracht hätten. So wie Jesus. Und deswegen würden sie als das eigentliche Volk Gottes nun ersetzt werden.

Und als Folge schlimmster Antisemitismus und Antijudaimus unter christlichem Deckmantel.

 

Wie billig. Und schändlich. Und falsch. Denn das, was Jesus hier sagt, hält uns allen den Spiegel vor.

 

Ich glaube, dass der, den wir Gott nennen, immer noch Botinnen und Boten schickt.

Um Dich und mich zu erinnern: An die Hingabe, an Gott, daran, dass wir Anteil zu geben haben.

An die Liebe. Dass wir verantwortlich sind. Und Gier kaputt macht. 

 

Eine Botin wie Sophie Scholl. Ein Gymnasium hier trägt ihren Namen. 

Gemeinsam mit anderen stellte sie sich gegen die Nazis. Prangerte die Ermordung der Jüdinnen und Juden an. Den Irrsinn des Krieges. Sie forderte auf, sich dem entgegenzustellen, den eigenen Anteil zur Gerechtigkeit beizutragen. Am Ende wird sie hingerichtet.

 

Botinnen und Boten wie die Geflüchteten. Opfer wahnsinniger Kriege und Regime. Opfer eines sich wandelnden Klimas und großer Not. Sie flüchten hierher und bitten um Schutzraum. 

Von Staaten, die so leben, als würde ihnen alles gehören. Die mit Diktatoren gute Geschäfte machen und deren Lebenswandel den Klimawandel beschleunigt. 

Die Geflüchteten erbitten Frieden, Raum und Geld, Anteil. Und es wird geholfen. Und viele geben. 

Aber immer noch ertrinken Flüchtende im Mittelmeer, werden wie Vieh behandelt oder erfrieren, weil keiner zuständig ist und man auf gemeinsame Lösungen wartet. 

 

Botinnen und Boten wie queere Menschen. Und solche, die in kein Raster passen. Die, die von der Moral vorschnell als sündig oder nicht normal abgestempelt werden. Und sie sind da und wollen gesehen werden. So wie sie sind. Bunt. Echt. Lebendig.

Und von Teilen der Kirche werden sie stigmatisiert, ausgegrenzt und nach draußen geschickt.

 

Botinnen und Boten wie die Tiere, die einen mit traurigen Augen im Tierheim anschauen. Und solche, die in Massen in viel zu engen LKWs quer durch Europa transportiert werden. Die ohne Lobby Dich und mich nach unserem Anteil an Erbarmen und einem guten Umgang mit der Schöpfung fragen. 

Und sie werden misshandelt und getötet.

 

Eine Botin wie die Natur. Gletscher schmelzen. Trockenheit auf der einen, Überschwemmungen auf der anderen Seite. Klopft an die Scheiben unserer Fernseher, sucht das Leben der Betroffenen heim und fragt: Hey, was machst eigentlich Du? Was ist Dein Anteil?

Und die Ausbeutung geht weiter. Wachstum nach oben und nicht nach innen. 

 

Ein Bote wie der Mann, der vor zwei Tagen vor dem pröpstlichen Pastorat auf der Treppe sein Bierchen zischte. Wir sprachen über Gott und die Welt. Der Rauch seiner Zigarette malte Kreise in die Luft.

Du bist also Propst. Aha. Und woran merkt man, dass Du Christ bist? Redet ihr nicht immer davon, den Armen zu helfen und wohnst selbst in so einem Kasten? 

Was hast Du für mich übrig?

 

Gott schickt Botinnen und Boten in der Nachfolge Jesu.

Hör hin. Lauf nicht weg. Achte sie. Übernimm Verantwortung. Gib Deinen Anteil.

 

Und manchmal bist Du selbst Botin und Bote. 

Gesandt in die Welt an Christi statt. 

Und Gott mahnt und bittet durch Dich.

Ordiniert, geweiht oder nicht. 

Jung oder alt. 

Gesund oder krank.

Wichtig in den Augen der anderen oder nicht. 

Das spielt keine Rolle.

Aber Achtung: es kann sein, dass es nicht einfach wird!

 

Denn es geht um viel.

Um das, was uns nicht gehört.

Und das, was uns anvertraut ist.

Erde. Natur. Menschen. Liebe. Hoffnung. Gnade.

Um Verantwortlichkeit.

Um Glauben und Hingabe.

 

Jesus ist klar.

Gott hat Geduld.

Doch wir sollten uns nicht zu sicher sein.

Die Dinge ändern sich.

Und das anvertraute, geschenkte, kann entschwinden, wird weggenommen.

 

Was wird der Weinbergbesitzer tun?

​

Das Vierte: Verworfen ins Leben

Jesus erzählte weiter: Ihr kennt doch die Stelle in der Heiligen Schrift:

›Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden.

Der Herr hat ihn dazu gemacht. Es ist ein Wunder in unseren Augen.‹«

 

Und Menschen bauen sich Häuser.

Die sichtbaren und die aus Gedanken.

 

Jesus hatte mit seiner Botschaft der Hingabe an Gott und die Liebe nicht in die Gedankengebäude gepasst. Und er wurde verworfen, weggeworfen wie ein unpassender Stein auf einer Baustelle.

 

Aber das war nicht das Ende.

Verworfen auf der einen Seite. 

Ein Anfang auf der anderen. 

Die Botschaft von Jesus hatte schon lang Kreise gezogen.

Und Menschen fassten Mut. 

Gaben Gott ihr Gesicht. 

Lebten als Ebenbilder des Ewigen.

Gaben nichts auf das oben und unten der Gesellschaft.

Trauten der Liebe.

 

Jesus war ihr Grundstein der Hoffnung. 

Eckstein des Verheißungsbogens, der sich über alles spannt.

 

Verworfen wirst manchmal auch Du. 

Von Dir. Von anderen.

Und manchmal ist das ein Ende.

Und manchmal ein Anfang.

 

Sie warten: Deine Träume, Menschen und Gottes Auftrag. Deine Berufung, Botin und Bote zu sein.

 

Ich bin hier, weil ich von der Botschaft dieses Jesus ergriffen bin.

Von der Würde, die ich mit Blick auf ihn trage.

Er ist ein Eckstein meines Lebens und meiner Sehnsucht geworden.

 

Ich bin hier, um im Kirchenkreis Rantzau-Münsterdorf zu arbeiten. Mit Ihnen. Mit Dir.

Als wäre es eben dieser Weinberg. Und wir alle Pächter und Pächterinnen.

Und wir krempeln die Ärmel hoch. Stellen uns dem Unkraut, pflegen. Freuen uns an dem, was wächst. Ernten. Geben unseren Anteil an Glauben und Liebe den Menschen und Gott weiter.

 

Und ja, legen auch mal die Füße hoch und genießen. Wenn wir genau hinsehen, sind sie da alle da: Sophie, Mohammed aus Syrien, Elizaveta aus der Ukraine, Akil aus Afrika, Jonas, der Männer liebt, Traute aus der Wilstermarsch, der Mann mit seinem Bierchen und zwischen den Füßen wieseln munter Tiere. Und Jesus hebt das Glas. Auf das Leben! Auf Gott!

 

Es ist ein Wunder in unseren Augen. 

 

Amen.

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